Hin- und Hergeschichten nannte sich ein Buch, das Franz Hohler und Jürg Schubiger gemeinsam verfasst haben. Der eine schickte dem anderen eine Geschichte und der Empfänger liess sich durch diese zu einem eigenen Werk inspirieren. Weil die beiden sich keine weiteren Vorgaben machten, sind herrlich verrückte Texte entstanden. Diesen inspirierenden Prozess wollen Regula Haus, eine befreundete Autorin, und ich ausprobieren. Wer dann übrigens Lust bekommt, mehr von Regula Haus zu lesen, besorgt sich einfach ihr Buch "Das schwarze Sofa" (nicht wundern, damals trug sie noch den Doppelnamen Haus-Horlacher) oder schauen sich http://www.literaturport.de/Regula.Horlacher/ an.

Als sie klein war, hatte sie Weihnachten geliebt. Sich für ihre Nächsten ein Geschenk einfallen zu lassen, war eine Herzensangelegenheit. Und erst die Verpackung. Papier und Schleifen mussten gemeinsam erstrahlen. Heute hing die Weihnachtsbeleuchtung spätestens Mitte November in Geschäften unterschiedlichster Art. Doch die wenigsten Menschen genossen dies. Sie stürmten aneinander vorbei, oft in beiden Händen Taschen, Kopfhörer in den Ohren, den Blick aufs Handy oder die nächste Ladenfront geheftet. Manchmal stand sie mitten in diesem Konsumsturm und kämpfte um eine Begegnung. Doch meistens machte sie sich nach der Arbeit auf dem schnellsten Wege nach Hause. In den eigenen vier Wänden fühlte sie sich sicher. Doch die Begegnungen schienen ausgesperrt. Die Atmosphäre hatte oft etwas Bedrückendes. Aber manchmal gelang das Unglaubliche: Eine Freundin traf sich mit ihr zum Essen. Die Handys blieben in der Tasche. Und im Gespräch über Arbeit, Menschen und Träume entstand Wärme - wahre Weihnachtswärme.

„Der Dezemberplan steht noch nicht definitiv fest, aber ich kann Ihnen heute schon sagen, dass Sie über Weihnachten frei haben“, informierte die Pflegedienstleiterin Bea während des Einführungsgesprächs an ihrem ersten Arbeitstag Anfang November. Bea freute sich. Sie mochte Weihnachten. Aber sie wusste auch, dass es sich bei dieser Zuteilung von Freitagen nicht um Grosszügigkeit ihr gegenüber handelte. Vor ein paar Jahren wäre es das wohl noch gewesen, aber die Zeiten hatten sich geändert. Schon an Beas bisherigem Arbeitsort wollten ihre Kolleginnen viel lieber über Silvester-Neujahr frei als über Weihnachten, sogar wenn sie kleine Kinder hatten. Offenbar war Weihnachten aus der Mode gekommen. Nun ja. Weshalb ein einzelner nackter neugeborener Säugling jedes Jahr wieder gefeiert werden sollte, war ja auch nicht wirklich nachvollziehbar. Nach all der Zeit! Allein in der Schweiz kamen jährlich 80 000 Kinder zur Welt, hatte sie kürzlich in der Zeitung gelesen. 80 000 hilflose Kinder, die ihren Eltern zwar Freude bereiteten, aber ebensoviel Arbeit und Sorgen. Und die auch nur allzu oft den in sie gesteckten Hoffnungen und Erwartungen nicht gerecht wurden. Genau wie der Säugling aus dem Stall in Bethlehem Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllt hatte! War es da nicht tatsächlich vernünftiger, Silvester zu feiern? Das Jahr war überstanden, und was auch immer es einem gebracht hatte, man lebte noch? Bea wusste es nicht. Sie hatte keine Kinder.