Der Montag machte seinem Namen alle Ehre. Die Chefin, die mitten unter ihren Datatypisten mitarbeitete, hatte schlechte Laune. Jedes Wort war eines zu viel. Jeder Gang zur Toilette schien registriert zu werden. Ausserdem war Lena wegen des Termins beim Anwalt nervös. Und das besserte sich auch nicht, als sie Marco Caruso ein paar Stunden später gegenübersass. Er notierte Personalien, sah das Familienbuch durch und blickte ihr erst dann wirklich in die Augen. «Was ist Ihr Ziel, Frau Kronenberg?» «Ich möchte so schnell als möglich geschieden werden.» Sie schluckte, bevor sie hastig weitersprach: «Mein Mann hat mich bereits ersetzt.» Sie wartete auf eine Reaktion. Doch Marcel Caruso wählte seine Worte mit Bedacht: «Ich kann Ihre Frustration nachvollziehen, aber in der Schweiz wird nicht mehr schuldhaft geschieden. Rechtlich gesehen spielt es also keine Rolle, dass Ihr Mann sie betrogen hat. Ich würde in Ihrem Fall versuchen, eine Konventionalscheidung zu erreichen.» «Was heisst das?» «Sie sind beide berufstätig, es gibt keine Kinder, das heisst, wenn sie sich in Bezug auf die Finanzen einigen können. Dann unterbreitet man dem Gericht diesen Vorschlag und nachdem das Gericht die Zustimmung beider Parteien noch einmal geprüft hat, kann geschieden werden.» «Eine solche Einigung zu erzielen, wird nicht einfach werden. Als gelernter Buchhalter und Finanzmanager hat er sein Geld immer im Blick.» «Gibt es noch andere Werte?» «Ein Haus, er hat ein Haus gekauft, als seine Firma nach der Startphase fünf Jahre hintereinander schwarze Zahlen geschrieben hat.» «Was würden Sie denn als Verhandlungsbasis vorschlagen?» Lena holte tief Luft, bevor sie antwortete: «Ich will die Hälfte vom Haus und er soll die Scheidung bezahlen.» «Und wie wollen Sie seinen Anteil an Ihrer Altersvorsorge bewerten?» «Gar nicht, wenn er die anderen Bedingungen akzeptiert.» «Das wäre für ihn aber eine äusserst günstige Lösung.» «Dann sollten Sie diesen Aspekt in Ihrem Schreiben betonen. Ein finanzieller Verlust schmerzt ihn am ehesten.» Lena schwieg einen Moment. «Was passiert, wenn er sich nicht auf eine Konventionalscheidung einlässt?» «Dann könnte es doch noch zur Kampfscheidung kommen.» Lena schwieg einen Moment. «Wenn ich Sie richtig verstanden habe, raten Sie mir zwischen den Zeilen, freundlich zu bleiben und Geduld zu haben.» «So könnte man sagen», Marcel Caruso klappte die Mappe mit den Notizen zu. Lena nickte: «Brauchen Sie noch Unterlagen von mir?» «Für das erste Schreiben nicht. Die Liste bezüglich der Scheidungspapiere gebe ich Ihnen mit.» Lena erhob sich und streckte ihrem Anwalt die Hand entgegen. «Herr Caruso, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz.» Er sah sie an. «Eine Scheidung ist immer ein extrem schwieriger Moment. Lassen Sie sich Zeit.» Seine Worte im Ohr verliess Lena die Kanzlei.

Auf dem Trottoir vor dem Haus versuchte sie, tief durchzuatmen, um sich in der kalten Winterluft zu beruhigen. Doch die Wut kochte in ihr hoch. «Dieser Scheisskerl. Er hat bestimmt gewusst, dass ich auf sein Einverständnis angewiesen sein würde.» Sie ballte die Faust und schlug hart gegen die Wand. Wie gerne hätte sie auf diese Weise sein Gesicht getroffen. Sie gab sich der Fantasie hin, hörte das hässliche Fenster des Gästeklos klirren. Sie griff nach der Eisenskulptur auf dem hohen Regal neben der Toilette. «Man muss den Gästen zeigen, dass man Kultur hat», hatte Robert gerne gesagt. Lena hatte Kultur. Ein zweiter Schlag – das gläserne Auge der Eingangstür barst, jetzt brauchte sie keinen Schlüssel mehr. Sie ging in die Küche und suchte das grosse Tranchiermesser, das würde sie im Wohnzimmer gut gebrauchen können. Sie würde Platz schaffen. Das edle, schwarze Ledersofa stritt mit dem Messer. Das Sofa verlor. Es gab jammernde Knirschtöne von sich, bis es vollends verstummte. Lena öffnete die Vitrine, entnahm ihr ein Whiskyglas. Sie wog es prüfend in der Hand, während sie auf die weisse Wand über dem Fernseher starrte. Sie warf – doch der Klang allein war ihr nicht nachhaltig genug. Sie ging zurück zur Vitrine, nahm das nächste Glas heraus und füllte es mit dem dunklen 18-jährigen Whisky – die Spritzer hinterliessen goldene Strahlen auf der weissen Wand. Das tat gut. Bis alle Gläser gefüllt waren, leerte sich die Flasche. Mit ihr setzte Lena den Schlusspunkt im Wohnzimmer. Im Vorbeigehen ergriff sie eine der ausgestellten Rotweinflaschen, schlug am Türrahmen den Flaschenhals ab und marschierte auf den Kleiderschrank im Schlafzimmer zu. Sie öffnete die imposanten Flügeltüren und nahm das erste Hemd heraus. Der weinrote Kragen kontrastierte wunderbar mit dem blütenweissen Rest des Hemdes. Beim zweiten Exemplar färbte sie die Manschetten. Das dritte bekam ein apartes Tupfenmuster. Die leere Flasche stellte sie neben den Schrank. Vielleicht half das Wissen um den Verursacher bei der Fleckentfernung. Was wusste sie schon – schliesslich war der Haushalt, wie Robert nicht müde wurde zu betonen, nicht Lenas Stärke. Lena schnappte sich den Ersatzschlüsselbund vom Brett und verliess das Haus. Auf dem Gartenweg stapfte Robert ihr entgegen. Er sah sie an, wollte gerade den Mund aufmachen, als Lena zum finalen Schlag in die Weichteile ausholte. Er krümmte sich am Boden und Lena machte sich auf und davon. «Geht es Ihnen gut?» Lena hörte ihren eigenen rasselnden Atem. Das Herz schlug schwer gegen die Rippen. Trotzdem nickte sie. Der wohlbeleibte Mann mit Halbglatze und Seehundschnauzer sah sie eindringlich an. Sie liess die Hände, die immer noch zu Fäusten geballt waren, in den Jackentaschen verschwinden. «Sind Sie sicher?» Lena schluckte: «Ja, alles in Ordnung.» «Na denn – kommen Sie gut nach Hause. Lena machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Es dauerte, bis sich der Sturm in ihrem Kopf legte.