Der digitale Hahn krähte. Lena setzte sich langsam auf. Der Muskelkater war etwas abgeklungen, doch sie fühlte immer noch eine gewisse Schwere in den Gliedern. Sie musste einen Moment überlegen, welcher Tag war. Ein Sonnenstrahl huschte zwischen den Rollläden hindurch. «Samstag – heute ist Samstag», blitzte es durch ihren Kopf. «Ich kriege heute meine Möbel.» Keinen Monat war es her, hatte sie in ihrer Euphorie nach dem Zusammensein mit Luis ein Bett, eine Stehlampe und eine kleine Kommode ausgesucht. Beim Gedanken an Luis seufzte sie leicht. Sie hatten sich hie und da per SMS einen Gruss geschickt. Doch Lena vermisste ihn. Die Nacht mit ihm hatte sie ihrer eigenen Weiblichkeit wieder etwas nähergebracht. Und jetzt? Robert hatte sich mit seiner Drohung erneut im Zentrum platziert. Er war Schatten. Lena schaltete das Licht an. «Ihr kriegt mich nicht klein», sagte sie laut. «Ich hole jetzt meine neuen Möbel ab und sie werden wundervoll aussehen in meiner Wohnung.» Sie ging ins Bad. Kaum war sie fertig angezogen, klingelte es. Lena drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. «Ich bin gleich unten, dann können wir los.»

 

Marina wartete auf dem Parkplatz, mit verschlafenem Blick, in der Hand eine Dose Red Bull. «Schwesterchen, verleg doch deine künftigen Einkaufsplanungen auf den Nachmittag.» Lena schmunzelte. «Eine musikalische Nacht erlebt?» Marina lachte: «Schön, wenn du dich so philosophisch ausdrückst.» Während des kurzen Plauschs waren sie bei der IKEA angelangt. Sie begaben sich zum Kundendienst. Ein knapp 20-Jähriger erklärte ihnen ausführlichst die Regeln der Autovermietung und am Ausgabeschalter für die Möbel warteten trotz Morgenstunde schon vier Familien. Als sie alles verladen hatten, schnallte Marina sich mit den Worten «Bitte Zwischenstopp in der Bäckerei» auf dem Beifahrersitz an. Sie wussten beide, dass Lena seit dem letzten Parkschaden nicht mehr Auto gefahren war. Mit fast grimmigem Gesicht drehte sie nun den Zündschlüssel.

 

Nach etwas mehr als einer Stunde war die erste Herausforderung genommen. Lena parkte Marinas «Lupo» vor ihrem Haus und stieg mit etwas zittrigen Beinen die Treppe hoch. Als sie in ihre Wohnung kam, musste sie lachen. Marina winkte ihr mit vollem Mund kauend zu. «Der Hunger war zu gross zum Warten», meinte sie entschuldigend. «Kein Problem», Lena griff nach Gipfeli und Milchkaffee. «Du warst ja auch schon mehr als tätig», sagte sie anerkennend mit Blick auf den fertigen Bettrahmen. Die Hölzer für den Rost waren ordentlich ausgelegt, damit man eines nach dem anderen in die Gummiträger an den Seiten einquetschen konnte. «Darum kommst du ja auch goldrichtig. Das mit diesen Hölzern geht am besten, wenn der eine auf der rechten und der andere auf der linken Seite drückt, sonst fällt alles wieder raus.» Sie waren gut in der Hälfte, als sie feststellten, dass sie zusätzlich ein Band zwischen die Balken fädeln sollten. Also wieder von vorn. Doch gegen 14 Uhr stand das Bett und konnte bezogen werden. Marina sah auf die Uhr: «So, Schwesterchen, ich denke, mit dem Rest kommst du alleine klar. Ich gehe mich jetzt umziehen, denn ...» «Denn du hast heute noch ein Date», vervollständigte Lena den Satz ihrer Schwester. «Jep jep, ganz genau.» «Geniess es.» «Keine Bange, das werd ich. Du aber auch.» «Keine Bange, das werd ich», lachte Lena und freute sich auf ihre erste Nacht im neuen Bett.

 

Schon als sie durch die Tür trat, spürte Lena, dass er schlechte Laune hatte. Sie kam gerade aus der Schule. Denn weil ihre Matura in Deutschland nicht anerkannt war, musste sie ein zusätzliches Jahr an einem Studienkolleg absolvieren. «Schön, dass du kommst», empfing sie Robert. «Würdest du dich bitte einen Moment zu mir setzen.» Sie liess sich auf die Couch sinken. Er warf ihr ein Papier hin. Sie erkannte den Briefkopf des Möbelhauses, das sie sich gemeinsam ausgesucht hatten. «Du hast gesagt, bestell, was wir brauchen», sagte Lena leise. «Ich habe gesagt, bestell das, was wir dringend brauchen.» Robert wurde lauter. «Aber doch nicht für 600 Euro!» Er nahm die Rechnung an sich und deutete auf einen Posten. «Ich meine, warum, bitte schön, brauchen wir Nachttische?» Lena zuckte zusammen, als er mit dem Papier vor ihrem Gesicht auf den Tisch schlug. «Oder Bettwäsche? Weil du das Gefühl hast, meine Kollegen aus der alten Bude hätten die mitbenutzt?» «Aber woran hättest du denn gedacht?», wagte Lena einen Einwurf. «Wie wärs mit Regalbrettern mit metallenen Aufhängern fürs Wohnzimmer? Oder mit einem Küchenschrank? Damit das gespülte Geschirr nicht einstaubt, wie Madame sich kürzlich beklagte? Jedenfalls nicht an weibischen Krimskrams!», brüllte er nun. Robert war aufgesprungen, warf Lena die Rechnung hin. «Ich muss hier raus und falls ich wiederkomme – falls – kannst du mir ja sagen, woher du», beim Du piekte er sie mit dem Zeigefinger in die Brust, «… und zwar nur du das Geld für diese Bestellung herkriegst, Frau Studentin. Ansonsten stornierst du das Ganze morgen früh umgehend.» Die Tür knallte.

Lena fuhr im Bett hoch. Ihr Herz klopfte, ihr Atem ging schnell. Sie zündete das Licht an und sah sich um. «Du bist in deiner Wohnung, du bist nicht in Karlsruhe, es ist alles in Ordnung», sprach sie sich gut zu. Doch es half nicht wirklich, es fühlte sich an, als hätte ihr jemand einen Panzer angelegt, der zu eng sass. Sie bekam einfach nicht genug Luft, also stand sie auf. Sie erinnerte sich daran, was ihre Mutter getan hatte, wenn sie als Kind schlecht geträumt hatte. Mit einer ausholenden Geste hatte sie jeweils den Kühlschrank geöffnet und ein Stück Schokolade herausgeholt: «So, jetzt gehst du schlafen und träumst dich in eine schöne Welt. Es ist alles in Ordnung, dir kann nichts passieren, weil ich nämlich in dieser Welt auf dich aufpassen werde.» «Ach Mama», dachte Lena. «Wenn du wüsstest, was hier abgeht. Ich könnte deine Hilfe gut gebrauchen.» Lena holte sich ein Stück Schokolade aus dem Kühlschrank und leise sprach sie in die Stille: «Bitte pass auf mich auf.» Und vorsichtshalber liess sie das Licht an, als sie sich wieder ins Bett legte.