«Die Angst disziplinieren, um zu überleben»

Karlsruher Begegnung mit Ursula Meissner, die gerade aus Afghanistan zurückgekommen ist

«In den brenzligsten Situationen reagiere ich am besten. Muss ich auch, denn sonst wäre ich nicht mehr am Leben.» Scheinbar ruhig erzählt die Fotojournalistin Ursula Meissner bei der Eröffnung ihrer Ausstellung (Galerie Zikesch Art Consult, New-Jersey-Strasse 9056, Karlsruhe-Nordstadt) von ihrer Arbeit an den Kriegsschauplätzen dieser Welt. Seit 1992 ist sie als freie Journalistin tätig, wählt ihre Projekte selbst aus. Ihr erstes Erlebnis mit der Dramatik eines Kriegsschauplatzes hatte sie jedoch bereits 1986. «Da lag ich zum ersten Mal in einem Schützengraben, die Erde bebte und ich dachte, jetzt ist es aus.»

Es war nicht aus, ganz im Gegenteil. Ursula Meissner lernte von erfahrenen Kollegen, was sie zum Überleben in den Kriegsgebieten braucht. «Das Wichtigste ist, die eigene Angst zu disziplinieren, damit man angemessen reagiert», betont sie. Der Schwerpunkt ihrer Bilder liegt auf Frauen und Kindern, die unschuldig unter dem Krieg leiden. «Die Menschen sind echt und unverfälscht. Sie haben nichts mehr zu verlieren und stellen sich nicht anders dar, weil sie fotografiert werden.» Zeitlose Bilder, die vom Überleben der Menschen berichten, ohne reisserisch zu sein, sind ihr Ziel. «Ein gutes Bild ist eines, das man lange in der Hand halten kann. Es berührt einen, man schliesst die Augen, lässt es zu, denkt darüber nach und gewinnt vielleicht eine Erkenntnis.» In Europa sei diese Intensität in Begegnungen viel schwieriger zu finden.

 

Nachdem Lena am Samstagmorgen die fertigen Layouts der Reportage von Carlo Leu bekommen, sie mit Eva besprochen und abgesegnet hatte, suchte sie diesen früher verfassten Text aus einem ihrer Ordner. Sie erinnerte sich, wie schwer es gewesen war, die Fotografin zu einem richtigen Gespräch zu bewegen. Ursula Meissner hatte sie damals nicht wirklich ernst genommen. Lena lächelte im Rückblick. Verständlich, dachte sie heute. Eine junge Frau, kurz nach der Matur, ohne viel Lebenserfahrung, will wissen, wie sich Krieg anfühlt. Wahrscheinlich sind Ursula Meissner dabei die Worte ausgegangen, mutmasste Lena. Sie war froh, dass ihre Position Carlo Leu gegenüber einfacher zu vertreten gewesen war. Sie hatte die Ideen geliefert und er hatte sie umgesetzt. Unaufgeregt, aber mit einem feinen Gespür für Evas Lebendigkeit.

Lena wäre den Erlebnissen der vergangenen Woche gern noch ein wenig nachgehangen. Doch bis zum Abend galt es, noch Banalitäten wie den Wocheneinkauf, die Wäsche und ein gewisses Mass an Putzarbeiten zu managen. Denn bis sie in nicht mehr ganz vier Wochen den neuen Job antrat, wollte sie die Wohnung so weit im Griff haben. Sie hatte gerade Geldbeutel und Handy in die Tasche gepackt, da klingelte es. Lena hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass es Samstagmorgen öfter klingelte, wenn bei Marco und Martin Frühstückszeit war. Sie öffnete schwungvoll – da stand Robert. Es dauerte keine Sekunde, da hatte Lena ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. «Mach auf», befahl er. «Lena, mach sofort auf.» «Was willst du?» «Darüber spreche ich nicht in einem Hausflur.» «Und ich nicht in meiner Wohnung. Verlass das Haus, warte draussen bei deinem Wagen. Wir gehen zusammen Kaffee trinken.» Lena versuchte ruhig durchzuatmen. Es war helllichter Tag – er konnte ihr nichts tun. Als ihr Herz nicht mehr im Hals schlug, trat sie aus der Wohnung, der Flur war leer. Also war er tatsächlich draussen? Lena ging die Aussentreppe hinunter, da sah sie ihn neben seinem Mercedes stehen. «Schön, dass du es doch noch geschafft hast. Wohin fahren wir?» Lena stieg ein. «Nach Baden ins ‹Lights out›.» «Das klingt eher nach Bar als nach Café.» «Es ist beides.» «Du scheinst dich ja mittlerweile auszukennen.» «Parkier am Bahnhof.» Die Luft im Wagen schien immer dünner zu werden. Als das Auto stand und Lena ausstieg, ging es ihr bereits etwas besser. Sie machte einige Schritte voraus und fütterte die Parkuhr. «Wie viel Zeit bleibt uns?», fragte Robert. «Eine Stunde.» «Du bist ja furchtbar grosszügig.» Lena ging schweigend voraus, Robert folgte ihr rasch und als sie auf derselben Höhe waren, versuchte er, ihr immer näher zu kommen. Lena beschleunigte und war froh, als das «Lights out» vor ihnen auftauchte. Sie ging vor ihm durch die Tür, suchte den Tisch hinten in der Ecke aus und setzte sich so, dass sie freien Sichtkontakt zur Bar hatte. Robert nahm ihr gegenüber Platz und musterte sie kritisch freundlich. «Du scheinst abgenommen zu haben.» Sein Blick blieb an ihrem Ausschnitt hängen. «Und dein Kleidergeschmack scheint sich auch gebessert zu haben.» Nina brachte den Kaffee, Lena dankte ihr mit einem Nicken und die junge Frau signalisierte mit einem Lächeln, dass sie Lena erkannt hatte. «Robert, was willst du?» «Reden. Ich meine, ein kleiner Fehltritt braucht doch nicht das Ende einer Ehe zu sein.» «Ich muss dich wohl daran erinnern, wer von uns beiden die Trennung diktiert hat.» «Von Diktieren kann nicht die Rede sein. Ich habe lediglich um Zeit gebeten. Und die habe ich genutzt.» Mit einem selbstgefälligen Lächeln lehnte er sich im Stuhl zurück. «Ich habe mir überlegt, für ein Sabbatical in die Schweiz zu kommen. Sicher könntest du für uns die entsprechenden Räumlichkeiten organisieren. Dann hätte ich Zeit, die Zukunft meines Unternehmens zu planen, während du im Berufsleben stehst.» «Hat Annabell eure Zweisamkeit beendet?» Lena erschrak selbst ob der offenen Spontanität der Frage. Doch sie biss die Zähne zusammen. «Jetzt keinen Rückzieher machen», dachte sie. Roberts Kieferknochen traten langsam hervor. «Das geht dich eigentlich nichts an, aber ich will es dir dennoch verraten. Ja, unsere Liaison ist zu Ende.» Er hatte Lenas Hand ergriffen, bevor sie sie zurückziehen konnte. «Aber ich habe ja dich.» Er löste den Blick von ihren Augen und besah sich die Hand. Der Druck wurde schmerzhaft. «Wo ist der Ring?» «Auf dem Grund der Limmat.» «Du willst mich provozieren.» «Nein, ich will die Scheidung.» «Den Teufel werd ich tun, dir mein hart erarbeitetes Geld in den Rachen zu werfen.» «Ich will dein Geld nicht. Ich will meine Freiheit.» «Deine Freiheit», Robert hatte Lenas Hand losgelassen und lachte. «Und was ist sie dir wert?» «Du zahlst die Hälfte der Scheidungskosten, inklusive Anwalt. Ich will keinen Zugewinnausgleich und gar nichts. Nur schnell soll das Ganze gehen.» Robert lachte wieder. «Du kannst deinen Anwalt ja mal eine Konvention aufsetzen lassen. Ich überleg mir dann, ob ich sie unterzeichnen will.» Er erhob sich. Mit einem zynischen Lächeln steckte er Geldbeutel und Handy, welche er auf den Tisch gelegt hatte, zurück in seine Manteltasche. «Ich denke, dein Geld reicht, um mich auf einen Kaffee einzuladen.» Er beugte sich zu Lena herunter. Sie sah ihm in die Augen, hielt trotz der Kälte darin seinem Blick stand. Robert griff ihr grob in die Haare und hielt sie am Kopf. «Schade, heute hätte es mich tatsächlich wieder gereizt, dir zu zeigen, was den Mann im Haus ausmacht.» Er lachte gewollt ordinär, als er das Lokal verliess.