Als Lena an diesem Abend im Zug sass, klingelte ihr Handy. «Lena Kronenberg.» «Marc – guten Abend, Frau Kronenberg. Ich hoffe, Sie sitzen im Bus und Ihr Schwimmzeug liegt neben Ihnen?» Lena lief rot an, aber bevor sie antworten konnte, lachte es in der Leitung. «Ich weiss, dass du das Training wieder vergessen hast. Aber ich wollte mich bemerkbar machen.» Lena seufzte erleichtert auf: «Danke.» «Weisst du auch, warum ich mich bemerkbar mache?» «Ehrlich gesagt, gerade nicht wirklich. Worauf willst du hinaus?» Jetzt klang Marcs Stimme ernst: «Ich finde es toll, was du in den vergangenen Wochen erreicht hast. Aber aus dem Training hast du in der Krise Stabilität gezogen und ich glaube, die brauchst du noch. Denn auf dich wird noch einiges zukommen.» «Was meinst du, das klingt so ernst.» «Es geht nicht um ein konkretes Ereignis. Aber es tut gut, für Kommendes gewappnet zu sein. Morgen 19 Uhr?» «Morgen 19 Uhr.» «Ich freu mich drauf.» Lena legte das Handy zurück in die Tasche. Nachdenklich wechselte sie von Zug zu Bus. Zu Hause angekommen, zog sie sich erst einmal um und öffnete den Kühlschrank, um sich etwas zu essen rauszusuchen, nur war da nicht mehr besonders viel drin. Also Schinkengipfeli aus dem Tiefkühler – die mochte sie gerne, daran gab es nichts auszusetzen. Aber es hatte nichts mit der gesunden Kost zu tun, die sie zu Beginn ihrer Trainingszeit mit Marc zubereitet und verspeist hatte. Lena setzte sich mit ihrem Teller vor den Fernseher – und was sah sie nach dem Einschalten als Erstes? Eine Kochsendung mit Jamie Oliver – gesundes Kochen ganz einfach. Ein Wink mit dem Zaunpfahl ist wohl noch nicht genug, dachte sie irgendwo zwischen amüsiert und gereizt. Sie blieb trotzdem auf dem Sender, denn sie mochte die energetische Ausstrahlung des Engländers. Danach «Julie und Julia» – es bleibt also beim Kochen, dachte sie und verfolgte die Geschichte zweier Frauen auf der Suche nach ihrer Passion. Während der Werbepause sah sie sich auf der Couch liegend in ihrer Wohnung um. Die wachsenden Papierstapel, die frische Wäsche, die es nicht in den Schrank geschafft hatte – auch die Ordnung hatte in den vergangenen Wochen beruflicher Veränderungen wieder gelitten. Warum war es nur so schwer, alles unter einen Hut zu kriegen? Oder ob das nur ihr so erging? Und während sie darüber nachdachte, schlief sie mitten im Film ein.

Es klingelte. Lena drehte sich und wäre fast vom Sofa gefallen. Gott sei Dank lag das Handy auf dem Tisch. Lena sah auf die Uhr – Zeit zum Aufstehen. Warum brannte das Licht? Langsam realisierte sie, dass sie die Nacht wohl auf dem Sofa verbracht hatte. Wenigstens habe ich den Fernseher ausgemacht, dachte sie und erhob sich schwerfällig. Sie wankte zum Kleiderschrank und dann ins Bad. Nach der Dusche fühlte sie sich besser. Sie packte ihre Schwimmsachen und beschloss, sich auf dem Weg zur Arbeit etwas zum Frühstück zu besorgen. Der Tag selbst verging schneller, als sie gedacht hatte. Der Besuch bei der Stuntfrau bewegte sie. Marlene Reisig war konsequent ihrer Berufung gefolgt, trotz Unverständnis der Umgebung und des Einsatzes, der dafür nötig war. Beim Wort Einsatz war sie hängen geblieben – denn diesen würde sie gleich brauchen, wenn sie im Training war. Und sie hatte sich nicht getäuscht. Marc war so charmant wie immer – doch er hatte sich einiges überlegt. Nach dem Einschwimmen packte er Flossen und Paddles aus. «Zehn Minuten Flossen, dann Paddles – dann schauen wir, wie sich das Schwimmen ohne Kraftgeräte anfühlt.» Lena nickte etwas geschockt. Sie erinnerte sich nur zu gut, wie viel Kraft die beiden Geräte jeweils in der Schule gekostet hatten. Aber ein Rückzieher kam nicht infrage. Bei Marc sah es leicht aus, aber Lena kriegte zeitweise kaum noch Luft. Als sie die Paddles auszog, fühlte sich der Körper im Wasser wunderbar leicht an, nur die Koordination war nicht so ganz einfach. Marc zog sie auf: «So wie dein Kopf aussieht, würde ich sagen, zehn Minuten ausschwimmen und dann Schluss für heute.» Lena nickte. Als sie beide aus dem Wasser stiegen, wollte sie wissen: «War das Mördertraining heute als Rache oder Fingerzeig gedacht?» «Ein bisschen von beidem», gab er zu. Sie lachte: «Wenigstens bist du ehrlich. Aber ich glaube, ich habe verstanden, wovon du gestern am Telefon gesprochen hast. Ich soll weiterhin daran arbeiten, bei mir zu bleiben.» Marc nickte. «Was hältst du davon, wenn ich dich jetzt nach Hause fahre?» «Viel! Ich bin nämlich froh, dass die Treppe in unserem Haus ein Geländer hat, ich denke, meine Beine werden ganz schön zittern.» Nun lachte Marc: «Das kriegen wir schon hin.» Und tatsächlich nahm er sich schon für den üblichen Sprintweg zum Auto etwas mehr Zeit. Auf dem Parkplatz vor Lenas Haus stieg er aus. Aber nicht, um ihr die Tür zu öffnen, wie sie vermutete. Er liess sie ganz normal selbst aussteigen und öffnete den Kofferraum. Marc überreichte Lena eine kleine Papiertüte: «Ich vermute, du bist in den vergangenen Tagen nicht wirklich zum Einkaufen gekommen. Der Inhalt sollte für ein vernünftiges Abendessen und das Frühstück morgen reichen. Ausserdem hilft Ingwertee gegen Muskelkater.» Lena war verlegen und berührt. «Danke! Für alles! Ich werde mich gleich ans Kochen machen.» «Und das Training für nächste Woche fix eintragen», drohte er ihr lachend mit dem Zeigefinger. Die beiden umarmten sich. Lena stieg langsam die Treppen hoch und erkämpfte sich in ihrer Küche noch den Salat, bevor sie sich auf dem Sofa niederliess. Sie schaltete den Fernseher an – und schlief während der Nachrichtensendung ein.