Oktober ist Brustkrebsmonat. Während 31 Tagen will man Vorbeugung, Erforschung und Behandlung der Krankheit ins öffentliche Bewusstsein rücken. Viel Arbeit. Meine Mutter ist an den Folgen des Brustkrebses gestorben. Ich weiss, wie viele Tabus ihr Leben mit der Krankheit geprägt haben. Also nutze ich meinen Beruf und erzähle als Journalistin Geschichten, die sonst verborgen blieben.

Ich besuche «The Hair Center» am Graben 8 in Aarau. Auf dem Informationsblatt steht: «Seit 1972 der führende Zweithaarspezialist in der Schweiz.» Im Eingangsbereich tragen Ausstellungsköpfe Perücken. Was hinter den Begriffen tatsächlich steht, lerne ich im Gespräch mit Norma und Steve Aviolat. Sie hat die Firma zusammen mit ihrem Mann Michel Aviolat aufgebaut. Sohn Steve und seine Schwester Laila stehen für die zweite Generation. «Wir sind ein Familienunternehmen», erklären sie unisono. Norma Aviolat fährt fort: «Wir helfen Betroffenen bei unterschiedlichsten Formen von Haarausfall. Denn die Ursachen sind individuell.» Er könne erblich bedingt sein, durch einen Unfall entstehen oder medizinische Ursachen– nicht selten Chemotherapie- haben. «Es gibt teilweisen Haarausfall, manchmal wächst das Haar wieder oder der Haarausfall bleibt – kein Mensch kommt mit derselben Geschichte zu uns.»

Mit diesem Satz sind wir mittendrin. «Unser Haar ist Teil unserer visuellen Identität. Verlieren wir es, wird nicht nur eine Krankheit für alle sichtbar. Unser Spiegelbild kann zur Belastung werden, denn es möchte sich wohl keiner mit einer Krankheit identifizieren.» Darum sei der Idealfall wenn Brustkrebspatientinnen bereits zu ihnen kämen, sobald sie von der kommenden Chemotherapie erfahren. «Dann können wir genau analysieren, wie die Frau ihr Haar trägt. Welche Farbe es hat und welche Auffälligkeiten, eine graue Strähne oder Wirbel, für das Zweithaar beachtet werden müssen.» Der nächste Schritt sei das Aussuchen einer Perücke, die möglichst nahe an das natürliche Vorbild herankomme. «Jetzt sind wir bei den Vorurteilen.» Norma Aviolat spricht mit Nachdruck weiter. «Wenn eine Frau sich für Zweithaar entscheidet, ist die Perücke der Anfang, nicht das Resultat.» Farbe, Haarschnitt und -dichte, die Kopfform – jedes noch so kleine Detail werde angepasst. «Sich für Zweithaar zu entscheiden, bedeutet das gesunde Spiegelbild zu erhalten. «Kein Mensch kommt fertig aus der Box.»

Langsam beginne ich zu verstehen, warum Haarverlust keine Kleinigkeit ist. Selbst dann nicht, wenn man ihn einem möglichen Sterben gegenüberstellt. «Der Erhalt des Spiegelbildes stärkt die Lebenskraft. Die Frau selbst und ihr Umfeld spüren Stabilität. Sie haben eine Sorge weniger.» Dafür setzen sich die Familie Aviolat und all ihre Mitarbeitenden ein. Geht nicht, gibt’s nicht. Braucht es neue Verarbeitungstechniken für Zweithaar werden sie entwickelt.

Wie gehen sie mit all den Lebensgeschichten um, die an sie herangetragen werden, will ich von meinen Gesprächspartnern wissen. «Das eine ist die Arbeit an sich. Das andere sind die Rückmeldungen, sind Reaktionen», schildert sie. «Wenn eine kleine Tochter es kaum aushält, die kranke Mutter genau anzuschauen und nach Anpassung des Zweithaares kann ich beobachten wie sich die Anspannung löst, dann weiss ich, dass wir etwas bewirken können. Das Gefühl ist kaum zu erklären.»

Wir machen noch einen Rundgang durch das Unternehmen, bevor ich mich verabschiede. Am Ausgang steht gerade eine Frau am Informationstresen. Ich stutze einen Moment. Ich erkenne sie erst auf den zweiten Blick wieder. Vor zwei Stunden trug sie einen wunderschönen Turban, doch wirkte sie verloren klein im Empfangsbereich. Jetzt ist ihre Präsenz eine andere. «Kein Mensch kommt aus der Box, keine Frau ist wie die andere.» Ich lasse einige Vorurteile hinter mir. Ich wünsche allen Frauen – ob gesund, an Brustkrebs erkrankt oder geheilt: «Bitte habt den Mut, euch auf eurem persönlichen Weg unterstützen zu lassen.»

Mein Dank für diese Geschichte geht an Norma und Steve Aviolat. Weitere Infos zum Angebot des «Hair Centers» auf www.thehaircenter.ch