Das pinke Licht am linken Bildschirmrand meines PCs blinkt auf: Warnung! Traurige Kinder in der Schule von Kleinseenhausen! Traurige Kinder in der Schule von Kleinseenhausen! Ich greife nach Block und Kamera. Keine zwei Minuten später bin ich unterwegs. Es dauert allerdings eine gute Stunde bis Kleinseenhausen. Dann bin ich vor einem sonnengelb gestrichenen Gebäude angekommen. Neben dem Haus steht eine Art Klettergerüst, das aussieht, als wären die Äste von einem guten Dutzend Bäume zusammengewachsen. Dazwischen kleine Ausguckposten aus alten Bierfässern. Ich werde entdeckt - vor meinem Gesicht fällt eine Strickleiter herunter. Ein kleiner Kapitän stemmt die Hände in die Hüften: "Was machen Sie hier?" "Ich habe eine Meldung erhalten, dass es in dieser Schule traurige Kinder gibt." "So, so - und was wollen Sie da tun?" "Ich dachte, ich rede mit den Kindern und schreibe ihre Geschichte auf." "Aufschreiben", der kleine Kapitän lacht höhnisch. "Aufschreiben. Warum? Denken Sie das liest jemand?" "Das kann man nicht wissen bis die Buchstaben nicht eingefangen sind." "Na dann mal los. Versuchen Sie Ihr Glück." Er klatscht in die Hände. Überall auf dem Klettergerüst sind plötzlich Gesichter zu sehen, Mädchen und Jungen unterschiedlichsten Alters. "Sagt mal, was macht ihr eigentlich hier? Es ist doch Samstag, ihr braucht doch gar nicht in der Schule zu sein." "Wir bewachen Hochseenhausen." "Ich versteh nicht." "Na unser Klettergerüst." "Aber warum?" "Weil der Bürgermeister unserem Direktor gesagt hat, dass es im Weg sei wenn die Hauptstrasse breiter wird." "Ok, aber wann wird denn die Hauptstrasse ausgebaut?"  "Das sagt uns doch keiner", höhnt der kleine Kapitän. "Wir sind ja nur Kinder. Aber, dass wir daran", er weist mit der Hand zum Gerüst, "selber mit gebaut haben, mehr noch, es selber entworfen haben, das interessiert keinen." "Ihr habt das selbst gebaut?" Eifriges Nicken und Zurufe von allen Seiten. Ich schreibe die Geschichte auf und fotografiere die Kinder. Am nächsten Tag steht der Artikel in der Zeitung und auf meiner Website. Der Bürgermeister ruft mich an - doch statt die gewünschte Gegendarstellung zu schreiben, organisiere ich eine Gesprächsrunde mit Bürgermeister, Bauleiter, Eltern und Kindern. Es ist die erste Diskussion aller Beteiligten - aber lange nicht die letzte. Nach drei Monaten das Ergebnis - das Klettergerüst wird versetzt, der Parkplatz muss dafür ein wenig Fläche hergeben. Die metallenen Barren verschwinden und die Kinder bekommen die Chance ihre Schöpfung weiterzuentwickeln. Als "Hochseenhausen 2.0" eingeweiht wird, bin ich selbstverständlich wieder mit dabei - und der kleine Kapitän zieht den Hut vor mir.

 

PS: Zu dieser Geschichte hat mich eine Werbetafel inspiriert, die Sie auf der Facebookseite wortemalen finden.